Liebe Schulgemeinschaft,                          

neben den schrecklichen Ereignissen in der Ukraine verblassen zurzeit alle Corona-Meldungen, Fallzahlen und Auswirkungen auf den Schulbetrieb. Selbst der Bericht des Weltklimarates, an Wichtigkeit kaum zu überbieten, schafft es aktuell nicht auf die Titelseiten der Druckmedien, die seit Tagen und Wochen vom Ukrainekonflikt beherrscht werden.

Als Europaschule mit engen Kontakten nach Russland und zu unserer Partnerschule in Novgorod sind wir sehr betroffen und befürchten lang andauernde Auswirkungen auf unsere bewährten freundschaftlichen Verbindungen. Russisch ist seit den 70er Jahren als zweite Fremdsprache am Gymnasium Alfeld etabliert, mit einer großen Anzahl an Herkunftssprechern*innen, aber auch Neulernern*innen. Somit ist es ein integraler Bestandteil unseres Schulprofils und soll dies auch weiterhin sein.

Unsere Hoffnungen richten sich auf die Möglichkeiten der Diplomatie, auch wenn diese aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit dem russischen Aggressor wohl leider unbegründet sind. Mit einem System zensierter Informationen, gepaart mit Kriegsrhetorik seitens der russischen Führung, hat sich Russland in eine Lage manövriert, in der sich das Land isoliert und für weitere freundschaftliche Kontakte in großen Teilen der Welt als sehr unsicherer Partner erweist.

Wir hoffen sehr, dass die russische Führung zur Vernunft kommt, die militärischen Aktionen nicht von langer Dauer sind und die Zivilbevölkerung keinem unnötigen Leid ausgesetzt ist.

Im Rahmen unseres Bildungsauftrages haben wir das Thema des Konfliktes im Unterricht thematisiert, sachlich korrekt, aber neutral über die Geschehnisse und mögliche Auswirkungen informiert. In der Schülerschaft ist das Gesprächsbedürfnis durchaus hoch, allerdings lassen Rückmeldungen aus der Elternschaft auch durchaus andere Haltungen zur politischen Lage in Russland erkennen. Dennoch sind wir zur Information verpflichtet und nehmen diese Aufgabe verantwortungsbewusst wahr.

Der staatliche Erziehungsauftrag ist gesetzlich dem elterlichen Erziehungsrecht gleichgeordnet, was allerdings nicht bedeutet, dass beide durchweg deckungsgleich sind.

Schule muss an dieser Stelle neutral sein, darf aber die Augen nicht vor den schrecklichen Ereignissen verschließen und indifferent bleiben.

Eine eindeutige Ablehnung jedweder kriegerischen Handlung, die Demokratie gefährdet, ist ein klares Bekenntnis zu ebendieser Demokratie und im Bildungsauftrag der Schule verankert. Im Niedersächsischen Schulgesetz ist dieser Auftrag unter „§2 Bildungsauftrag der Schule“ verbindlich gefasst und sichert unser pädagogisches Handeln ab. Daher vermitteln wir die Wertvorstellungen, die unserer Verfassung zugrunde liegen und ebenso den Gedanken der Völkerverständigung, der kriegerische Handlungen als Mittel der Politik kategorisch ausschließt.

Im sogenannten „Beutelsbacher Konsens“ wurden bereits 1976 von Politikwissenschaftlern drei Prinzipien formuliert, die heute als didaktische Leitgedanken politischer Bildung fungieren und in der Schule ihre Umsetzung finden. Zum einen wurde das Überwältigungsverbot formuliert, das es nicht erlaubt, Schüler*innen „im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der ‚Gewinnung eines selbstständigen Urteils‘ zu hindern, das Kontroversitätsgebot, nach dem auch im Unterricht kontrovers erscheinen muss, was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, und die Lernendenorientierung, nach der Schüler*innen in die Lage versetzt werden sollen, eine politische Situation und [die] eigene Interessenslage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne [eigener] Interessen zu beeinflussen." (https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/306955/wie-politisch-duerfen-lehrkraefte-sein/).

Diese Grundsätze sind abgesicherte Leitlinien unseres pädagogischen Handelns und somit nicht verhandelbar.

Wir werden als Schule nicht auf die Straße gehen, demonstrieren oder andere Formen des politischen Protestes wählen können.

Aber wir können ein eindeutiges Bekenntnis zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Würde des Menschen ablegen. Und wir können feststellen, dass diese Grundsätze in Russland zurzeit eine untergeordnete Rolle spielen, dass unabhängige Medien verboten, friedliche Demonstranten verhaftet und demokratische Grundsätze unterbunden werden.

Wir fühlen mit den Menschen in der Ukraine, da ihre noch junge Demokratie gefährdet ist, aber wir fühlen auch mit den Menschen in Russland, die ebenfalls die Folgen des Krieges zu tragen haben.

Wir wünschen uns nichts mehr, als das Russland zum Weg der Demokratie und Freiheit zurückfindet und uns ein verlässlicher Partner ist. Ein Partner nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern ein Partner, der ebenfalls den Gedanken der Völkerverständigung lebt.

Als Europaschule mit dem Fach Russisch stehen wir dafür ein, dass durch dieses Angebot ein Zeichen für Frieden und Verständigung zwischen den Völkern gesetzt wird und wir stehen an der Seite unserer Schüler*innen und ihrer Eltern, die sich um ihre Freunde und Familien sorgen. 

Michael Strohmeyer